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Prinzip der kollektiven Rechtewahrnehmung beibehalten und stärken. Das Urheberrecht aus Sicht der SPD- Fraktion

Beitrag von Jörg Tauss in "politik und kultur", Zeitung des Deutschen Kulturrates, Nr. 06/07. S. 25-26

Noch vor der Sommerpause hat der Deutsche Bundestag eines der für den Bereich Kultur und Medien wichtigsten Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode verabschiedet. Im Gesetzgebungsverfahren zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ (sog. Zweiter Korb) wurden insbesondere auf Drängen der SPD-Bundestagsfraktion noch wesentliche Änderungen erreicht, die allesamt eine Stärkung der Urheber zum Inhalt haben und die zugleich die im Koalitionsvertrag geforderte Stärkung der Urheber im digitalen Zeitalter erreichen sollen. Durch den Gesetzentwurf und die durchgesetzten Änderungen wird erreicht, dass

  • im Zusammenhang mit der erstmals möglichen Einräumung von Nutzungsrechten der Urheber gegenüber den Verwertern über noch unbekannte Nutzungsarten neben dem obligatorischen Vergütungsanspruch auch ein tatsächliches Widerrufsrecht für die Nutzung in einer neuen Nutzungsart eingeräumt wird,
  • der „doppelte Flaschenhals“ beseitigt wurde. Dies bedeutet, dass die Vergütungspflicht nicht mehr - wie ursprünglich vorgesehen - eine Nutzung in „nennenswertem Umfang“ (10-Prozent-Schranke) voraussetzt. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Geräte und Speichermedien für Vervielfältigungen „geeignet“ sind. Zudem ist die Festlegung über die Höhe der Vergütungsabgabe nicht mehr an den Gerätepreis gekoppelt (5-Prozent-Schranke). Nunmehr können die Beteiligten in weitgehender Selbstregulierung die Höhe der pauschalen Vergütung rasch bestimmen bzw. bestimmen lassen,
  • der Gesetzgeber es sich vorbehält, „zu einer gesetzlichen Regelung der pauschalen Vergütung einschließlich der Vergütungshöhe zurückzukehren“ (wie bisher), falls die Selbstregulierung nicht die Erwartungen erfüllt.

Damit wurde den wichtigsten Bedenken derjenigen, die die eigentlichen Adressaten des Gesetzes sind, die Urheber, Rechnung getragen und das Grunderfordernis einer angemessenen pauschalen Vergütung auch unter den neuen digitalen Bedingungen erreicht. Leider ist es zuvor jedoch nicht gelungen, die verhärteten Fronten aufzubrechen und die Industrie davon zu überzeugen, auf die Bedenken der Urheber einzugehen. Stattdessen wurde lieber auf die Wirkung einer – um es höflich zu formulieren - sehr merkwürdigen Anzeigenkampagne gesetzt, anstatt die Ängste der Autoren und Urheber, die mit ihrer Arbeit ja schließlich ihren Lebensunterhalt bestreiten, ernst zu nehmen.

Im Rahmen dieser Novellierung, insbesondere aber bei der Aushandlung der Höhe der Vergütung für Geräte und Speichermedien ist die besondere Rolle der Verwertungsgesellschaften wiederholt hervorgehoben wurden. Aus Sicht der SPDBundestagsfraktion wird dadurch die Funktion und Aufgabe von Verwertungsgesellschaften untermauert, die ihnen zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben gesetzlich zugewiesen ist. Sie erfüllen als Solidargemeinschaft der Urheber einerseits eine wichtige soziale und kulturelle, also eine gesellschaftliche Funktion. Sie sorgen andererseits vor allem für einen gerechten Ausgleich gegenüber den Rechteverwertern und Nutzern der geschützten Werke, indem sie z.B. die Vergütung von Vervielfältigungsstücken und der Wiedergabe in öffentlichen Darbietungen oder Rundfunksendungen sicherstellen.

Insgesamt erfüllen Verwertungsgesellschaften damit eine wichtige und unverzichtbare Rolle im Spannungsfeld zwischen Urhebern und Verwertern einerseits, zwischen der öffentlichen Nutzung und Urhebern andererseits. Die Urheber, die kreativen Schöpfer von Werken, aber auch Inhaber von Leistungsschutzrechten, bedürfen der Veröffentlichung und auch der Vermarktung ihrer Werke, um wahrgenommen zu werden und letztlich auch entsprechende Vergütung zu erhalten. Verwerter wiederum lassen sich von den Urhebern die erforderlichen Nutzungsrechte einräumen, um diese dann auf dem Markt gegenüber den Nutzern verwerten zu können. Verwertungsgesellschaften bringen diese beiden Seiten, die vor allem auch aufgrund der unterschiedlichen Rechtsstellung in einer nicht immer spannungsfreien Beziehung zueinander stehen, zusammen. Die kollektive Wahrnehmung von Rechten durch Verwertungsgesellschaften, staatlicherseits durch eine faktische Monopolstellung garantiert,
sichert den Erhalt von kultureller Vielfalt.

Diese Funktionen wurden von den Verwertungsgesellschaften in der Vergangenheit in besonderer Weise erfüllt, auch wenn es, wie die Beratungen im Rahmen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ gezeigt haben, in weiteren Details Anpassungs- und Verbesserungsbedarf geben mag. Die Ende 2007 vorliegenden Empfehlungen der Enquete-Kommission werden jedoch vor dem Hintergrund der von der SPD-Bundestagsfraktion außerordentlich zu begrüßenden übereinstimmenden Meinung in der Kommission ausgesprochen, dass an dem bestehenden System der kollektiven Rechtewahrnehmung festzuhalten sei.

Veränderungsprozesse betreffen die Verwertungsgesellschaften in zweierlei Hinsicht, wobei die Qualität möglicher Veränderungen höchst unterschiedlich zu bewerten ist. Die technischen Möglichkeiten der Neuen Medien beinhalten auch neue Formen der Verwertung von Inhalten in digitaler Form. Die digitale Rechteverwertung (Digital Rights Management - DRM) wird eine individuelle Vergütung der Rechteinhaber auf der Grundlage der tatsächlichen Nutzung von der Idee her ermöglichen können. Jedoch bestehen derzeit und mindestens in naher Zukunft vielfältige technische Schwierigkeiten, diese Möglichkeiten in funktionierende DRM-Systeme zu überführen.

Hinzu kommen zahlreiche offene rechtliche – beispielsweise datenschutzrechtliche – Fragen, die gegen einen flächendeckenden Einsatz von DRM-Systemen sprechen. Zudem scheint ein vollkommener Ersatz kollektiver Rechtewahrnehmung durch DRM-Systeme ausgeschlossen, weil die Vorteile einer kollektiven Vertretung von Urheberrechten durch Verwertungsgesellschaften auch im digitalen Bereich erhalten bleiben: die treuhänderische kostengünstige Wahrnehmung von Urheberrechten sowie die Möglichkeit, auch über nationale Grenze hinweg durch das Prinzip der Gegenseitigkeitsverträge aus einer Hand Rechte zur Nutzung von Werken zu erhalten (one-stop-shop). Darin, die bestehenden und auch durch DRM-Systeme nicht zu ersetzende Stärken der kollektiven Rechtewahrnehmung insbesondere hinsichtlich ihrer kulturellen und sozialen Aufgaben zu behaupten und auszubauen, sieht die SPDBundestagsfraktion auch Möglichkeiten der Weiterentwicklung von Verwertungsgesellschaften im digitalen Zeitalter. Es ist nicht ausgeschlossen, dass DRM-Systeme die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften unterstützen können, ersetzen können
sie sie nicht.

Insbesondere auf europäischer Ebene - und das ist die zweite Dimension von Veränderungsprozessen - sind Entwicklungen zu beobachten, die das System der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten grundsätzlich gefährden könnten. Dies macht insbesondere die Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2005 für „die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden“ (2005/737/EG) deutlich. Abgesehen davon, dass die Kommission in dieser Form des „soft law“ Empfehlungen ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments verabschiedet, werden hierin ganz grundlegende Prinzipien des bestehenden Systems der kollektiven Rechtewahrnehmung infrage gestellt. Zum einen wird vorgeschlagen, das Prinzip der territorial tätigen und über Gegenseitigkeitsverträge von ihren europäischen Schwestergesellschaften beauftragten Verwertungsgesellschaften weitgehend dadurch zu ersetzen, dass Rechteinhaber eine von ihm frei bestimmbare Verwertungsgesellschaft europaweit mit der Wahrnehmung seiner Rechte beauftragen kann. Die arrivierten Autoren könnten ein solches System vorteilhaft nutzen, die weniger bekannten, die besonders auf die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften angewiesen sind, blieben auf der Strecke. Die kulturelle Vielfalt würde gefährdet. Zudem wären große Verwertungsgesellschaften gegenüber kleineren Schwestergesellschaften deutlich im Vorteil. Von diesem Modell verspricht sich die Kommission einen stärkeren Wettbewerb der Verwertungsgesellschaften untereinander, da insbesondere in der territorialen Rechtevertretung der nationalen Verwertungsgesellschaften ein Hindernis für die Entwicklung europaweiter Musikdienste im Online-Bereich gesehen wird. Doch wird durch den möglichen Verlust eines Teils des nur territorial vertretenen Repertoires nicht nur die kulturelle Vielfalt beeinträchtigt, sondern auch die Möglichkeit, Rechte aus einer Hand zu erwerben. Die Vorschläge der EU-Kommission sind aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion überaus kritisch zu werten, zumal bereits nach dem herkömmlichen Modell der Gegenseitigkeitsverträge europaweite Zugriffsrechte möglich sind und eine Verbilligung der Rechte durch den von der Kommission angestrebten Wettbewerb auch von ihr selbst nicht erwartet wird. Insofern scheint außer der Bedrohung der kulturellen Vielfalt und der Bedrohung des bisherigen Systems der kollektiven Rechtewahrnehmung mit all den damit verbundenen Vorteilen kein substantieller Gewinn in diesen Vorschlägen zu liegen. Vor diesem Hintergrund werden wir uns dafür stark machen, dass bestehende System der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten durch Verwertungsgesellschaften angesichts der bestehenden Herausforderungen im digitalen Zeitalter zu modernisieren und zu stärken, um die darin verankerten Vorteile gezielt zu nutzen und weiter auszubauen.