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Computerspiele - Bedeutendes Kultur- und Wirtschaftsgut
Beitrag von Jörg Tauss in "politik und kultur", Zeitung des Deutschen Kulturrates, Nr.03/07, S. 34 - 36
Der schreckliche Amoklauf eines 18jährigen in Emsdetten hat wieder eine kontroverse Debatte um Computerspiele und ihre Wirkung ausgelöst. Quer durch alle Parteien werden wieder einmal gewaltbeinhaltende Computerspiele pauschal als alleinige Ursache für eine solche Tat ausgemacht und es wird landauf und landab ein Verbot von so genannten „Killerspielen“ gefordert. Doch der Zusammenhang ist falsch und die Argumentation bezüglich der Einführung eines Verbotes greift viel zu kurz, blendet die geltende Rechtslage weitgehend aus und übersieht zudem die nicht weniger bedeutsamen Aspekte eines wirksamen Jugendmedienschutzes, nämlich die Frage des verantwortungsvollen Umgangs mit den Medien und die hierfür notwendige Medienkompetenz.
Forderungen nach einem Verbot von so genannten „Killerspielen“ ignorieren dabei seriöse wissenschaftliche Studien, die keinen direkten ursächlichen Zusammenhang von Computerspielen und realen Brutalitäten sehen. Vielmehr sind solche Forderungen - insbesondere aus München - unseriös und populistisch und ein Paradebeispiel für symbolische Politik. Sinnvoller wäre eine Versachlichung der Diskussion. So könnte die Unterstützung und Sicherung von zielgruppengerechten und qualitativ hochwertigen Angeboten bei multimedialen Produkten, insbesondere Computerspielen und die noch notwendige öffentliche Anerkennung des kulturellen Wertes von Computerspielen ein Thema sein.
Die Debatte entspricht nicht der Vielfalt in diesem Bereich. Zu Unrecht werden Computerspiele in der Öffentlichkeit häufig diskreditiert und in ein zu enges und ausschließlich gewalthaltiges Bild gerückt, obwohl der Anteil von Gewaltspielen an den Computerspielen insbesondere in Deutschland vergleichsweise gering ist. Die Eindimensionalität in der Debatte schädigt ungerechtfertigter Weise die gesamte Branche und ignoriert, dass Computerspiele und andere interaktive Unterhaltungsmedien heute weitaus mehr sind und gerade in den letzten Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen haben. Technologisch, kulturell und gesellschaftlich sind Computerspiele zu einem wichtigen Einflussfaktor in Deutschland geworden.
In Deutschland lag der Umsatz in der Computer- und Videospielsoftwareindustrie 2005 bei etwa 1,5 Mrd. Euro und übertraf somit deutlich den Umsatz der Filmindustrie in der Kinoerstverwertung. Dies macht die Computerspielindustrie zu einem ernstzunehmenden und zukunftsträchtigen Wirtschaftsfaktor, mit großem Innovations- und Wachstumspotenzial. Dieses Potential wird in Deutschland gegenwärtig allerdings noch nicht ausreichend ausgeschöpft, so dass die deutsche Computerspielbranche in ihrer Entwicklung noch weit hinter ihren Möglichkeiten liegt und der Markt daher zu einem Großteil von ausländischen Unternehmen dominiert wird. Deutsche Entwicklerstudios haben aber in den letzten Jahren eine hohe Qualität erreicht und sich dadurch international einen guten Ruf erworben. Dennoch spielen deutsche Produkte international weiter eine untergeordnete Rolle. Es ist daher Aufgabe einer verantwortungsvollen Kultur-, Medien- und Wirtschaftspolitik, dem dargestellten Missstand entgegenzutreten und u.a. die öffentliche Akzeptanz für nicht jugendgefährdende Computerspiele zu erhöhen.
In Deutschland bedarf es eines guten wirtschaftlichen und kreativen Klimas, durch das die Attraktivität als Wirtschaftsstandort für den Multimediasektor ebenso wie für andere Branchen weiter steigt. Besonders die Kreativwirtschaft stellt eine zentrale Zukunftsindustrie dar, die gerade in einem ausgeprägten audiovisuellen Sektor Ausdruck findet. Die vermehrte Förderung der Entwicklung und der Nutzung von qualitativ hochwertigen sowie kulturell und pädagogisch wertvollen Computerspielen muss dabei im Vordergrund stehen. Länder wie Frankreich, Kanada, Korea oder die Skandinavischen Staaten haben den Stellenwert des Computerspielesektors bereits vor Jahren erkannt und Instrumente zur kulturellen oder wirtschaftlichen Förderung erfolgreich initiiert - nicht erfolgreich und zukunftsorientiert ist in diesem Zusammenhang die Janusköpfigkeit einiger Bundesländer, die auf der einen Seite Entwicklerstudios im Rahmen von Kultur- und Wirtschaftsförderprojekten unterstützen, um diese dann aber gleichzeitig politisch - und öffentlichkeitswirksam - zu ächten.
Zu begrüßen ist daher der aktuell diskutierte Ansatz der Bundesregierung, in einem Stiftungsmodell auch die Förderung interaktiver Medien anzustoßen. Neben der Möglichkeit deutsche, aber auch europäischen Entwickler und Hersteller langfristig bei der Entwicklung von qualitativ hochwertigen Computerspielen zu unterstützen, lassen sich so gleichzeitig Maßstäbe für die durch dieses Medium vermittelten Inhalte setzen. Idealerweise wird dabei die gesamte Computerspielbranche – auch finanziell - einbezogen. Ergänzend halte ich überdies eine Ergänzung des Filmfördergesetzes auf den Bereich der Computerspiele für ausgesprochen sinnvoll und dringend erforderlich. Denn ebenso wie der Film sind auch interaktive Medien zu einem bedeutenden Bestandteil des kulturellen Lebens geworden, mit einem eindeutig kulturellen und prägenden Wert für unsere Gesellschaft. Dabei sind Computerspiele schon lange nicht mehr nur allein Bestandteil der Jugendkultur, vielmehr finden sich unabhängig von Alter und Geschlecht immer mehr Spieler und Spielerinnen in allen Bevölkerungsteilen. Gespielt werden dabei hauptsächlich Adventures und Rollenspiele, Gesellschaftsspiele, Sport- und Strategiespiele sowie Onlinerollenspiele.
Trotz dieser Vielfältigkeit werden Computerspiele immer wieder auf so genannte „Killerspiele“ reduziert, in Zusammenhang mit Gewalttaten gebracht und kommen dadurch in den Verdacht, diese auszulösen. Wissenschaftliche Arbeiten und Untersuchungen zu diesem Thema kommen allerdings überwiegend zu dem Schluss, dass Computerspiele nur dann einen Einflussfaktor darstellen können, wenn auch zahlreiche andere Faktoren zur Verstärkung von Gewaltpotentialen beitragen. Um solchen Einflüssen entgegenzuwirken, ist es notwendig, eine komplexe und differenzierte Anzahl von Maßnahmen ins Auge zu fassen, die neben dem Jugendmedienschutz vor allem die Medienkompetenz, aber ebenso Bereiche wie Sozial- und Jugendarbeit oder Bildung und Erziehung umfassen.
Deutschland besitzt bereits heute eines der vorbildlichsten, weitreichendsten, konsequentesten und wirkungsvollsten Jugendmedienschutzgesetze weltweit. Das dem Jugendmedienschutzgesetz zu Grunde liegende Konzept der Dreistufigkeit hat sich bewährt. Unsere Jugendmedienschutzgesetze finden daher zu Recht internationale Anerkennung und daher auch innerhalb der europäischen Union zu Recht Nachahmung und Etablierung. Aber auch das beste System muss laufend auf seine Wirksamkeit kontrolliert werden, um auf Fehlentwicklungen reagieren zu können.
Aus diesen Gründen ist das Hans-Bredow-Institut in Hamburg beauftragt worden, dass geltende Recht des Jugendmedienschutzes umfassend zu evaluieren. Die Ergebnisse dieser Evaluation sollen im Juni 2007 vorliegen, um dann so eventuelle Änderungen oder Klarstellungen am geltenden Recht vorzunehmen. Die Ergebnisse der Evaluation können Anhaltspunkte ergeben für die Anpassung rechtlicher Regelungen sein. Bereits jetzt ist aber deutlich, dass wir in Deutschland weniger ein Normendefizit, als vielmehr ein Vollzugsdefizit gibt. Dies zeigen uns leider Testkäufe, die belegen, dass der Verkauf von nicht für die Altersstufe freigegebenen Medien an Jugendliche möglich ist.
Bevor daher nach Verboten und neuen gesetzlichen Regelungen gerufen wird, muss an dieser Stelle angesetzt und die Kontrollen effektiver gemacht werden. Parallel dazu ist aber auch eine Sensibilisierung von Eltern, Geschwistern, Mitschülern und Lehrern für das Thema unabdingbar. Dies alles setzt auch eine ehrliche Diskussion über die Situation in den Schulen aber auch in den Familien voraus. Einzelgänger, wie der von Emsdetten, müssen früher aufgefangen werden.