Publikationen
Ein „Dritter Korb“ für die Wissensgesellschaft. Open Access und Bildungspolitik
Buchbeitrag von Jörg Tauss. In: Deutsche UNESCO-Kommission e.V. (Hrsg.) (2007). Open Access. Chancen und Herausforderungen. Bonn. S. 100-102.
Betrachtet man die gegenwärtig dominierende Publikationspraxis in der Wissenschaft, zeigt sich gerade aus wissenschaftspolitischer Sicht eine extreme Schieflage. Die oftmals auch als paradox beschriebene Praxis gestaltet sich folgendermaßen: Eine in der Regel durch die öffentliche Hand finanzierte Forschungslandschaft generiert wissenschaftliche Ergebnisse, die Vermarktung dieser geschieht durch einen wissenschaftlichen Verlag. Die Nutzungsrechte an den dort entstandenen Publikationen werden dann anderen Wissenschaftsorganisationen, beispielsweise Bibliotheken, angeboten, die diese, erneut aus öffentlichen Mitteln, erwerben (müssen). Die Fachverlagsbranche wird national wie international von wenigen Großanbietern dominiert, deren Publikations- und Preispolitik aufgrund einer faktischen Monopolstellung zur Intransparenz neigt. Das finanzielle Risiko dieser Verlage im derzeitigen wissenschaftlichen Produktionssystem ist aufgrund des doppelten Zuflusses öffentlicher Gelder in den Publikationskreislauf sehr überschaubar - zu Recht bezeichnet Professor Hilty von der Max-Planck-Gesellschaft dies in einer Stellungnahme für den Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages als Privatisierung öffentlicher Mittel.
Vor dem Hintergrund knapper öffentlicher Haushalte wird es daher für Wissenschaftseinrichtungen immer schwieriger, die Mittel zur Beschaffung aktueller Publikationen aufzubringen, um so ihrem Auftrag zur Informationsversorgung angemessen nachzukommen. Folgerichtig suchen immer mehr Bibliotheken weltweit, und dies nicht nur aus Kostengründen, nach Alternativen.
Mittelfristig ist diese Situation geeignet, die Leistungsfähigkeit des deutschen, wie auch des weltweiten Bildungs- und Wissenschaftssystems empfindlich einzuschränken. Aufgabe der Politik muss es sein, einer solchen Bedrohung entgegen zu wirken. Eine Schlüsselrolle nimmt hierbei insbesondere ein modernes, an die Anforderungen der Informations- und Wissensgesellschaft angepasstes Urheberrecht ein, welches eine eindeutig urheber- und damit wissenschaftsfreundliche Ausgestaltung finden muss. An dieser Anforderung wird deutlich, dass es eben nicht vordergründig um Einsparpotenziale für öffentliche Haushalte geht.
Der gegenwärtig im Rahmen einer Novellierung des Urheberrechtsgesetzes diskutierte „Zweite Korb“ wird dieser Dimension der Anforderungen nicht gerecht. Selbst im besten Falle wird er nur ein kleiner Zwischenschritt hinsichtlich der veränderten Erfordernisse der Informations- und Wissensgesellschaft sein können. Die aktuelle Rechtsfiktion begünstigt bisher einseitig die Fachverlage, die aus Sicht der Bildungs- und Wissenschaftspolitik zur Wertschöpfung zwar einen wichtigen, aber auch nicht zu überschätzenden Beitrag leisten. Ein zeitgemäßes wissenschafts- und forschungsfreundliches Urheberrecht müsste vielmehr verstärkt die Produzenten aktuellen Wissens und zeitgemäße Distributionswege in den Blick nehmen.
Gegenwärtig werden Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung nur einer kleinen Gruppe gegen zum Teil überhöhte Kosten zugänglich gemacht. Dies widerspricht den Anforderungen einer zukunftsfähigen Wissensgesellschaft, die eben den barrierefreien Zugang zu Information und Wissen zu angemessenen Kosten voraussetzt. Monopolpreise wie sie gegenwärtig etwa von internationalen Verlagsgruppen durchgesetzt werden, können nicht angemessen sein.
Notwendig ist an dieser Stelle ein Paradigmenwechsel. Es muss der Grundsatz gelten, dass Wissen, produziert durch öffentliche Mittel, als Gemeingut betrachtet und somit auch der Allgemeinheit umfassend, ungehindert und zu angemessenen Kosten zugänglich gemacht wird. Basierend auf diesem Grundsatz und unabhängig von der gewählten Open-Access-Veröffentlichungsform kommt künftig nicht nur der Nutzer, sondern gerade der eigentliche Produzent von Wissen für die Kosten in der Publikations- und Distributionskette auf. Das Internet bietet sich dabei als Medium für die Verbreitung von wissenschaftlichen Informationen geradezu an, da es neue Wege der Publikationen von Forschungsergebnissen eröffnet. Hier liegt der große Verdienst und Wert des von den Forschungsorganisationen verfolgten Open-Access-Ansatzes.
Die zukunftsfähigen Konzepte liegen auf dem Tisch. Es ist bedauerlich, dass die Rechtspolitik sich mit dem „Zweiten Korb“ wieder einmal an überholten Fragen orientiert. Die ureigenste Aufgabe der Politik muss es sein heute zukunftsweisende und anreizbildende Rahmenbedingungen für die Wissensgesellschaft von morgen auch im Urheberrecht zu schaffen. Ohne einen „Dritten Korb“ für die Belange der Bildung, Wissenschaft und Forschung wird dies nicht zu leisten sein.