Sonstige Reden
"Datensicherheit, Bürgerrechte & Datenschutz“
- nicht redigiertes und endkorrigiertes Exemplar – es gilt das gesprochene Wort -
Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Gäste,
ich möchte mich zu Beginn erst einmal ganz herzlich für die Einladung bedanken, heute zu euch/ihnen sprechen zu dürfen. Bedanken möchte ich mich aber auch dafür, dass ihr euch eines ausgesprochen wichtigen, aber leider in der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommenen Themas angenommen habt. Als medienpolitischer Sprecher meiner Fraktion, aber auch in meiner Funktion als stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss des Deutschen Bundestages befasse ich mich nun schon seit Jahren intensiv mit den Themen Datenschutz, Bürgerrechte, Innere Sicherheit etc. Dass insbesondere letztgenannte Themen zumindest aber in letzter Zeit in der Öffentlichkeit vermehrt wahrgenommen wird, verdanken wir auch einem ausgesprochen aktiven Bundesinnenminister, der mit Vorschlägen und Ideen zu einer verstärkten Diskussion dieses Themenkomplexes quer durch alle gesellschaftlichen Schichten beigetragen hat. Diese so genannten Sicherheitsgesetze - Stichworte sind hier: Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung und Online-Abgleich von biometrischen Merkmalen in Ausweisdokumenten - führen bei mehr und mehr Bürgern unseres Landes endlich zu einer – wie ich finde – notwendigen und ausgesprochen wichtigen Sensibilisierung, auch im Umgang mit eigenen Daten oder des eigenen Kommunikationsverhaltens.
Gerade weil unsere Gesellschaft immer mehr von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien durchdrungen ist entstehen so neue Abhängigkeiten. Je mehr sensible Daten und vertrauliche Inhalte verarbeitet und übermittelt werden, desto mehr geraten Fragen der Sicherheit informationstechnischer Systeme, aber auch des Datenschutzes in den Blick. Dies gilt ganz besonders für den privaten Bereich eines jeden Bürgers. Immer mehr Bürger fragen sich zu Recht, was geschieht eigentlich mit meinen Daten, wer hat Zugriff auf diese und wie kann ein evtl. Missbrauch dieser ausgeschlossen werden. Stichworte sind hier: Phishing und Pharming, Trojanische Pferde.
Liebe Genossinnen und Genossen,
was kann nun der Bürger dagegen tun, dass seien Daten im täglichen (Internet)-Leben geschützt bleiben, was kann oder sollte gar der Staat tun? Eines der Hautprobleme ist in dieser Frage der häufig sehr laxe Umgang der Bürger mit eigenen Daten, aber auch häufig eine fehlende Kenntnis über die Gefahren. Hier kann der Staat aktiv Aufklärungsarbeit leisten, und er tut dies auch bereits intensiv. Auf die Seiten des BSI können sich Unternehmen, Behörden und Privatleute, die sich sinnvoller weise und zwangsläufig gegen neu entstandene Bedrohungen und Risiken schützen wollen und müssen informieren, wie sie die Sicherheit und Stabilität ihrer Netzwerke und informationstechnischen Systeme gewährleisten können. So werden auf den Seiten des BSI Programme, Tools und Applikationen zur Aufdeckung von Sicherheitslücken in IT-Systemen angeboten. Ähnliche Informationen finden sich aber auch auf den Seiten des BKA und des CCC.
Vorratsdatenspeicherung
In Vorbereitung auf den heutigen Abend wurde mir u.a, die Frage gestellt:
Wird man derzeit von Behörden ausspioniert, sobald man im Internet ist? Was soll sich nach Vorstellung der Politik an der Situation ändern?
Hier muss ich zwar den Begriff des „Spionierens“ relativieren, aber ja, der Staat weiß unter gewissen Voraussetzungen, wer wann, mit wem im Internet, aber auch per Handy oder Telefon, kommuniziert hat. Dies weiß er spätestens seit dem 1. Januar 2008 gesetzlich und flächendeckend. Dies wird als die sog. Vorratsdatenspeicherung bezeichnet.
Die Vorratsdatenspeicherung ist in Deutschland durch das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ eingeführt worden. Inwieweit dieses Gesetz mit dem Grundgesetz verträglich ist, soll durch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht geklärt werden, allerdings bestanden bereits bei der Ratifizierung Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit.
Unter anderem zum Zweck der Strafverfolgung werden Telekommunikationsanbieter und Internetprovider verpflichtet, die Verkehrsdaten jeglicher Telekommunikation für sechs Monate „auf Vorrat“ zu speichern. Im Einzelnen sind das:
- Für Telefonverbindungen die Rufnummern von Anrufer und Angerufenem, die Anrufzeit sowie bei Handys zusätzlich IMEI-Nummern, Funkzellen und bei anonymen Prepaid-Karten auch Aktivierungsdatum und -funkzelle.
- Für Kurznachrichten (SMS) gilt das gesagte entsprechend. Bei Internet-Telefondiensten ist auch die jeweilige IP-Adresse des Anrufers bzw. des Angerufenen zu speichern.
- Für den Verbindungsaufbau mit dem Internet, die für diese Verbindung vergebene IP-Adresse des Nutzers. Nicht gespeichert werden die IP-Adresse und die URIs der im Internet aufgerufenen Adressen, sowie auch nicht die abgerufenen Inhalte selbst. Dies ist ein des öfteren verbreiteter Irrtum.
- Beim Versand einer E-Mail die Absender-IP-Adresse, die E-Mail-Adressen aller Beteiligten und der Zeitpunkt des Versands, beim Empfang einer E-Mail auf dem Mailserver wiederum alle involvierten E-Mail-Adressen, die IP-Adresse des Absender-Mailservers und der Zeitpunkt des Empfangs. Zugriffe auf das Postfach, Betreffzeilen oder weitere Bestandteile der E-Mails werden nicht gespeichert, auch dies ist ein verbreiteter Irrtum.
Angesichts der Eingriffstiefe in die Grundrechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger und angesichts der Reichweite – betroffen sind 480 Millionen Menschen in Europa und davon 80 Millionen in Deutschland – stellen sich allerdings für mich die Fragen der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme und die Politik ist in der Pflicht, diese hinreichend zu beantworten. Hier gilt es, rechtsstaatliche Grundsätze zur Erhebung und Verarbeitung dieser Daten, klare Löschungspflichten sowie Beschränkungen des Zugangs auf richterliche Anordnung und lediglich zur Aufklärung schwerer Straftaten zu formulieren. Daneben gilt es vor allem den Berufsgeheimnissen, etwa von Seelsorgern, Anwälten, Journalisten und Abgeordneten, wirksam Geltung zu verleihen. Und damit geht es insbesondere – auch wenn das so manche meiner Kollegen anders sieht – auch um die Pressefreiheit.
Mit der Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hat dies meiner Sicht zur Folge, dass die Freiheit der Medien in einem ihrer sensibelsten Punkte mit ungeahnter Intensität beschädigt würde. Mit diesem Gesetz erhalten staatliche Stellen zum ersten Mal Zugriff auf alle elektronischen Kontakte von und mit allen Journalisten für die jeweils vergangenen sechs Monate.
So könnte in Zukunft praktisch jede Veröffentlichung von Insider-Informationen zur Überprüfung der kompletten elektronischen Kontakte des Autors für das jeweils vergangene halbe Jahr führen. Die Abschreckungswirkung für potentielle Informanten ist offensichtlich. Ihnen bliebe kaum noch eine Möglichkeit vertraulicher Kontaktaufnahme mit Journalisten. Das Vertrauensverhältnis zwischen Informanten und Presse, ohne das Pressefreiheit in einer Vielzahl für die Demokratie äußerst bedeutsamer Fälle weitgehend leer läuft, würde strukturell und flächendeckend beschädigt. Wollen wir das? Ist nicht das Grundrecht der Pressefreiheit einer der Grundpfeiler unserer Demokratie?
Betroffen sein können zudem Zeugnisverweigerungsrechtes bestimmter Berufsgruppen, beispielsweise von Anwälten und Seelsorgern. Die Grundrechte und auch die Zeugnisverweigerungsrechte sind in einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen von besonders großer Bedeutung. Eingriffe in diese Grundrechte, von denen zahlreiche Personen betroffen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Tatvorwurf stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, sind besonders schwerwiegend und bedürfen deshalb einer besonderen Rechtfertigung. Das gilt erst recht für das Vorhaben einer solch weit reichenden verdachtsunabhängigen Speicherung von Kommunikationsdaten auf Vorrat. Aus diesem Grund müssen die Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung auch hier im Zusammenhang mit der Neuordnung der Zeugnisverweigerungsrechte diskutiert werden.
Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht. Die SPD-Bundestagsfraktion nimmt ihre Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung als auch ihre Verpflichtung für Bürgerrechte ernst und natürlich stelle ich auch den in der Koalition gefundenen Kompromiss nicht in Frage! Aber die Vorgaben der EU-Regelungen gingen und gehen zu weit. Die vorhandenen Vorbehalte konnte erst aufgegeben werden, nachdem es gelungen war, die „Vorratsdatenspeicherung“ auf das zu reduzieren, was zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität tatsächlich erforderlich und angemessen ist. Dies hat die Große Koalition nach intensiven Beratungen in einem Kompromiss erreicht und sich auf und sich für eine Minimalumsetzung der Richtlinie ausgesprochen.
Dennoch ist und bleibt es unbestritten, dass die Einführung gesetzlicher Speicherungspflichten für Telekommunikationsverkehrsdaten in die Grundrechte sowohl der Nutzer – also eines jeden Bürgers und jeder Bürgerin - als auch der Anbieter von Telekommunikationsdiensten eingreift. Im Hinblick auf den Grundrechtsschutz bleiben erhebliche Zweifel und massive - auch verfassungsrechtliche - Bedenken bestehen. Leider wurde die Forderung, dass der Deutsche Bundestag die Verabschiedung des Gesetzes so lange aussetzen sollte, bis die Frage der Rechtmäßigkeit vom Europäischen Gerichtshof abschließend geklärt ist, ignoriert.
Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 19. 3. 2008 und der teilweisen Aussetzung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung erneut die Freiheits- und Bürgerrechte der Bürgerinnen und Bürger gestärkt und deutlich gemacht, dass es sich bei dem Abruf der Telekommunikationsverkehrsdaten um einen schwerwiegenden und nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriff in die Grundrechte handelt. Aus diesem Grund hat das Gericht entschieden, dass Telekommunikationsverkehrsdaten nur herausgegeben werden dürfen, wenn es sich um die Verfolgung von schweren Straftaten handelt und die Bundesregierung aufgefordert, einen Bericht über die praktischen Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung vorzulegen. Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die grundsätzlichen Bedenken bestätigt, die die Medienpolitiker im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der EU- Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorgetragen haben. Aus medienpolitischer Sicht bestehen daher nach wie vor erhebliche Bedenken hinsichtlich der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer solchen flächendeckenden Speicherung von Telekommunikationsdaten auf Vorrat und vor allem bezüglich der Abfrage für alle „mittels Telekommunikation begangener Straftaten“. Auch bleiben bezüglich der gewählten Rechtsgrundlage zahlreiche Fragen offen, die nunmehr vor dem Europäischen Gerichtshof geprüft werden sollen. Aus diesem Grund werden letztlich die Gerichte in Deutschland und Europa über die Rechtmäßigkeit dieses umstrittenen Vorhabens und die nationale Umsetzung entscheiden. Fest steht aus medienpolitischer Perspektive, dass – wenn die Rechtmäßigkeit der europäischen Richtlinie durch den Europäischen Gerichtshof in Frage gestellt wird – die deutsche Umsetzung dieser Vorgaben in jedem Fall zurückgenommen werden muss.
Online-Durchsuchung – BKA-Gesetz:
Online- Durchsuchung
Ich möchte an dieser Stelle auf eine weitere aktuelle Debatte eingehen, auf die so genannte Online-Durchsuchung. Dieser Begriff geistert seit nunmehr weit über einem Jahr durch die Medien und basiert auf dem neuen NRW-Verfassungsschutzgesetz, in dem der heimliche Zugriff auf Computer erlaubt werden sollte. Dieses Gesetz wurde vom BVerfG zu Recht und in aller Deutlichkeit gekippt und es wurde in diesem Zusammenhang einen neues Grundrecht abgeleitet. Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
Mit seiner Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht zugleich erklärt, dass Online- Durchsuchungen vor dem neu formulierten Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme nur in ganz wenigen Fällen zur Bekämpfung schwerer Verbrechen möglich sein können. Eingriffe in dieses Grundrecht sind nach der heutigen Entscheidung unter hohen rechtstaatlichen Absicherungen möglich. Es muss um den Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter gehen. Auch muss auch bei der Durchführung einer Online- Durchsuchung der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt bleiben und es muss hierbei, wenn möglich, das Erhebungsverbot bevorzugt werden, andernfalls gibt es ein grundsätzliches Verwertungsverbot. Außerdem gilt für jeglichen Einsatz dieses umstrittenen Ermittlungsinstrumentes ein Richtervorbehalt. Mit diesen rechtstaatlichen Absicherungen bleibt die Balance von Freiheit und Sicherheit gewahrt.
Dieses neue Grundrecht ist gerade im Zusammenhang mit der aktuell diskutierten Novellierung des BKA-Gesetzes von besonderer Bedeutung. Der § 20k regelt den heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme, allerdings weiterhin nur unzureichend und berücksichtigt die Vorgaben des BVerfG nur unzureichend. Hier gibt es gerade bei der vom BVerfG aufgeworfenen Frage des Kernbereichsschutzes erheblichen Diskussionsbedarf innerhalb der Großen Koalition.
FAZIT
Ich denke schon, dass wir uns zwischenzeitlich an einem Wendepunkt befinden von einer freien Gesellschaft zumindest in die Richtung einer unfreien Gesellschaft. Die in den Medien kursierenden Begriffe wir Überwachungsstaat, Sicherheitsstaat, Präventionsstaat spiegeln dies wieder, auch wen ich den Begriff des „Verdachtsstaates“ bevorzuge.
Für die SPD-Bundestagsfraktion sind Datenschutz, Presse- und Medienfreiheit als Grundrechtsschutz unverzichtbare Funktionsbedingung für jegliches demokratisches Gemeinwesen. Ein solcher Grundrechtsschutz ist aber nur dann gewährleistet, wenn die Erhebung, Speicherung und Nutzung von personenbezogenen Daten grundsätzlich der freien Selbstbestimmung unterliegen. Dies gilt in ganz besonderem Maße dann, wenn beinahe alle Lebensbereiche durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien durchdrungen sind und sensible Daten und Informationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen in zunehmendem Maße in weltweite Informations- und Kommunikationsnetzwerke eingespeist und übermittelt werden. Dass dies für die Gesellschaft und die Wirtschaft auch Vorteile mit sich bringt ist unbestritten. Allerdings bieten die Möglichkeiten heimlicher Datenerhebung oder -manipulation sowie die Integration unterschiedlicher Datenbeständen zur Analyse umfassender Persönlichkeitsprofile auch erhebliches Gefährdungspotential.
Auch wenn so manche bereits am Nachruf für den Schutz der personenbezogenen Daten schreiben, so bleibt die Wahrung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung ein zentrales Ziel bei der politischen Gestaltung der Wissens- und Informationsgesellschaft. Angesichts der immensen technologischen Herausforderungen einer weltweit vernetzten Gesellschaft und angesichts der neuen Gefährdungen halte ich dies für unabdingbar.