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Sonstige Reden

"17. Wartburg-Gesprächs" - "Forschungsstandort Deutschland, seine Rahmenbedingungen, Chancen, Grenzen, Aspekte im europäischen Vergleich"

- nicht redigiertes und endkorrigiertes Exemplar – es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Minister Goebel,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste,

als ich vor einiger Zeit von der Burschenschaft Sigfridia zu Bonn gefragt worden bin, ob ich anlässlich des 17. Wartburg-Gesprächs einen Vortrag übernehmen könnte, habe ich sofort zugesagt - spontan wie ich bin. Doch erst nach einigem Überlegen ist mir dann allerdings etwas Merkwürdiges ein- und aufgefallen. An diesem überaus reizvollen und ausgesprochen geschichtsträchtigem Ort soll sich, wie Sie alle wissen, um die Jahreswende 1520/21 Folgendes ereignet haben: Der Überlieferung nach soll sich hier auf der Wartburg ein gewisser „Junker Jörg“, als er des Nachts durch den Teufel geweckt wurde, mit einem beherzten Wurf mit dem Tintenfäßchen gegen den Satan verteidigt und diesen so in die Flucht geschlagen haben. Nun hoffe ich inständig, dass man hier und heute, in dem bildungs-, forschungs- und medienpolitischem Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, nicht ebenfalls einen solchen Satan zu erkennen glaubt und diesem daher ein ähnliches Schicksal droht - ich konnte bei meinem Rundgang bisher zumindest keine Tintenfässchen oder ähnliche Wurfgeschosse erblicken. Und vielleicht ist es mir am Ende meines Vortrages gelungen Sie davon zu überzeugen, dass ich nicht der Teufel bin …

Sehr geehrte Damen und Herren,
„Konzentrieren wir uns also auf das Wesentliche. Konzentrieren wir uns auf Bildung“ - Viel treffender als es Bundespräsident Horst Köhler, vorgestern in seiner „Berliner Rede“ getan hat, kann man es aus Sicht eines Bildungspolitikers nicht formulieren.

In Zeiten der wirtschaftlichen Globalisierung, des wachsenden internationalen Wettbewerbs und eines umfassenden demographischen Wandels entscheidet sich der Wohlstand unseres Landes an der Kreativität und Kompetenz der Menschen sowie an der Innovationsfähigkeit von Wissenschaft und Wirtschaft.

Das Ziel, den Wohlstand in unserem Land langfristig zu sichern, lässt sich allerdings nur dann erreichen, wenn in Deutschland sämtliche Kreativitäts- und Innovationsressourcen aktiviert werden. Grundvoraussetzung dafür ist aber, dass die Verzahnung der gesamten Erziehungs- und Bildungs- wie Qualifikationskette vom Kindergarten bis zur Hochschule und Weiterbildung verbessert sowie die Forschungspolitik verstärkt und auf Zukunftsfelder konzentriert werden. Erst so werden die Rahmenbedingungen geschaffen, die über die Zukunftsfähigkeit einer modernen Wissensgesellschaft entscheiden. Erst die verstärkte Investition in die Bildungsfähigkeit und Innovationsbereitschaft bilden die Basis, um in Zeiten, in denen der internationale Wettbewerb weiter zunimmt, konkurrenz- und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Insbesondere für die ressourcenarme und exportorientierte Volkswirtschaft Deutschlands ist Bildung zum entscheidenden Faktor der Zukunftsfähigkeit geworden. Ich möchte es deutlich sagen: von Bildung hängt heute die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft ab. Unsere Gesellschaft ist, will sie in einer globalisierten Welt bestehen und will sie diese erfolgreich mitgestalten, auf die Bildung all ihrer Menschen angewiesen. Dies ist daher auch der Grund, weshalb in der Bildungspolitik allein Chancengleichheit für alle das Leitmotiv sein kann.

Für die Sozialdemokratie ist das Ziel gleicher Bildungschancen für alle ohne Alternative, und zwar nicht nur am Start der Lernbiografie, sondern in jeder Phase des lebensbegleitenden Lernens. Dies gilt für alle gesellschaftlichen Gruppen, die gegenwärtig in unserem Bildungs- und speziell dem Hochschulsystem benachteiligt oder unterdurchschnittlich vertreten sind. Unser Augenmerk muss dabei insbesondere auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, Kinder und Jugendliche aus Arbeiterfamilien, aber auch Frauen gerichtet sein.

„Bildungschancen sind Lebenschancen. Sie dürfen nicht von der Herkunft abhängen. Darum werde ich immer auf der Seite derer sein, die leidenschaftlich eintreten für eine Gesellschaft, die offen und durchlässig ist und dem Ziel gerecht wird: Bildung für alle.“ Auch dieser Ausspruch könnte durchaus von mir sein, stammt allerdings abermals von Bundespräsident Horst Köhler und bestätigt unser Handeln. Bildung ermöglicht nicht nur die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und den Zugang zu Erwerbsleben. Bildung ist vielmehr die Voraussetzung für die Bewältigung und Gestaltung des kulturellen und technologischen Wandels, dem wir ausgesetzt sind. Ohne Bildung kann es keine Emanzipation, kein kritisches Bewusstsein, keine soziale Verantwortung und keine gesellschaftliche Partizipationsfähigkeit geben.

Dies alles macht Bildung zum zentralen Politikfeld unserer Zeit und zum zentralen Politikfeld der Sozialdemokratie in Deutschland.

Sehr geehrte Damen und Herren,
mit dem 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung und Entwicklung, hat die Bundesregierung einen wichtigen und neuen Impuls für Innovation und Wachstum gesetzt und damit begonnen einen wichtigen Teilaspekt der eben geschilderten Anforderungen zu erfüllen - ich sehe dieses 6-Mrd-Programm übrigens in bester Tradition zur erfolgreichen Politik der rot-grünen Vorgängerregierung. Dennoch, die Investition in Forschung und Entwicklung allein erfüllen nicht die wachsenden Qualifikationsanforderungen der Wirtschaft. Schon heute können wir den Bedarf an hoch- und höchstqualifizierten Arbeitskräften, wie z.B. Ingenieuren, kaum decken. Dieser Bedarf wird in den nächsten Jahren noch deutlich steigen. Und bereits heute ist unabweisbar, dass die Europäisierung und Internationalisierung der Bildungs- und Arbeitsräume neue Anforderungen an die Konkurrenzfähigkeit der Bildungsstandorte stellt. Wir sind, auch da hat Bundespräsident Köhler Recht, in einem Wettbewerb der Bildungssysteme.

Länder wie Finnland machen es uns auch hier vor. Weit über 60% eines Jahrganges erhalten einen akademischen Abschluss. In Deutschland liegt dieser Wert bei knapp über 20%. Dies können wir uns bei den vor uns liegenden Herausforderungen nicht leisten.

Unser Ziel ist es daher auch, und wenn Sie meinen bisherigen Ausführungen gefolgt sind, werden dies nicht als Sozialromantik verteufeln, möglichst vielen jungen Menschen eine Hochschulausbildung zu ermöglichen, egal welchen sozi-ökonomischen Hintergrund sie dabei haben. In keinem Land der OECD hängen die Bildungschancen so stark von der familiären Herkunft ab, wie in Deutschland. Dies gilt es zu ändern. Und dafür brauchen wir allerdings eine echte Chancengleichheit für alle und die Durchlässigkeit des Bildungssystems in allen Bereichen. Anders werden wir den Herausforderungen nicht gerecht.

Ich möchte an dieser Stelle deutlich hervorheben, dass es des vom BMBF aktuell vorangetrieben Ansatzes der Begabtenförderung bedarf. Begabtenförderung muss es geben und wird es insbesondere auch mit der SPD-Bundestagsfraktion geben. Aber es muss Klarheit darüber herrschen, dass unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft nicht nur die Hochbegabten, sondern auch die Normalbegabten benötigen. Ohne diese notwendige Breite, kann es auch keine wünschenswerte Spitze geben. Um dem dargestellten Zielen näher zu kommen, muss die Attraktivität des Studiums und der deutschen Hochschulen für Studierende allerdings weiter gesteigert werden.

Die Absicherung der Studienfinanzierung steht dabei im Mittelpunkt. Nur so können wir verhindern, dass ein Studierender gezwungen ist mehrere Jobs zu bestreiten, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Gerade für sozial Schwache ist das BAföG, welches ich als Garanten für die Chancengleichheit bezeichnen möchte, das zentrale Instrument. Leider wurde dieses Instrument - manche hier im Kreise mögen dies nur sehr ungern hören - unter Kohl uns insbesondere unter Herrn Rüttgers finanziell ausgeblutet und gemeinsam mit der FDP an die Wand gefahren. Mit der großen BAföG-Novelle von 2001, in der die Freibeträge und die Bedarfssätze deutlich erhöht wurden, konnte der Raubbau des Herrn Rüttgers beendet werden. Heute erhält rund jeder vierte Studierende in Deutschland BAföG, womit die „Rüttgers-Delle“ wettgemacht worden ist.

Die SPD, als Garant fürs BAföG, hat nach 1998 das BAföG somit wieder zu dem gemacht, was es sein soll: ein Instrument, das soziale Ungleichheiten ausgleichen und die Chancengleichheit für alle bei der Aufnahme eines Studiums verbessern hilft.

Ich begrüße allerdings auch ausdrücklich weitere und neue Instrumente der Studienfinanzierung wie beispielsweise Studienkredite, die ich allerdings als ein komplementäres Angebot zum BAföG ansehe. Und es bleibt allerdings abzuwarten inwiefern sich die Studienkredite der KfW auf dem Markt durchsetzen werden und ob sie die richtige Zielgruppe erreicht.

Neben diesen beiden aktuellen Angeboten denken wir allerdings partei- und fraktionsübergreifend über ein weiteres Konzept nach: Das Bildungssparen. Diese Idee steckt gegenwärtig allerdings noch in den politischen Kinderschuhen und ist daher auch noch kein geeignetes Konzept für die Lösung der aktuellen Probleme – ich kann Ihnen diesen Ansatz gerne in der anschließenden Diskussion erläutern.

Sehr geehrte Damen und Herren,
unser aller Ziel, möglichst vielen jungen Menschen ein Studium zu ermöglichen, darf nicht durch falsche Maßnahmen gefährdet, gar konterkariert werden. Ich rede von dem bildungspolitischen Holzweg der Studiengebühren.
Alle Untersuchungen (Österreich, Australien) belegen, dass Studiengebühren eine überaus abschreckende Wirkung auf Studierwillige haben. Dies kann und darf nicht sein. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte mit der 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes die Gebührenfreiheit für das berufsqualifizierende Erststudium festgeschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar 2005 dem Bund die Zuständigkeit dafür abgesprochen. Dennoch halten wir sachlich dennoch an der Gebührenfreiheit des Erststudiums fest, gerade wegen der Herausforderungen der Wissensgesellschaft und der Wissensökonomie.

Studiengebühren sind und bleiben sozial ungerecht, frauen- und familienfeindlich und bildungspolitisch kontraproduktiv. In Zeiten, in denen wir mehr und nicht weniger Hochschulabsolventen brauchen, schreckt eine neue „Campus-Steuer“ und drohende Schuldenlasten viele junge Menschen, vor allem junge Frauen, von einem Studium ab. Und dies gilt nicht nur für Studienanwärter aus Arbeiterhaushalten, sondern gerade auch für junge Menschen aus Mittelschichten, die kein Anspruch auf BAföG haben.

Zudem werden sich die Hoffnungen vieler Hochschulen auf zusätzliche Einnahmen durch Studiengebühren nicht erfüllen. Die Gelder werden größtenteils in die Konsolidierung der Landeshaushalte fließen - das zeigen bisher alle internationalen Vergleichsstudien.

Studiensteuern führen daher zwangsläufig zu einer echten loose-loose-Situation sowohl für die Hochschulen als auch für die Studierenden. Die Chancengleichheit und die Qualität unseres Bildungssystems bleiben auf der Strecke. Der Bund wird auf keinen Fall über den Umweg des BAföG indirekt Einsparungen in den Länderhaushalten finanzieren. Studiengebühren sind mit Sicherheit gegenwärtig das größte Risiko für die Sicherung unseres Fachkräftenachwuchses.

Es ist überdies kaum hilfreich, wenn ein Hochschulabgänger bereits mit dem großen Handicap eines Schuldenberges in das Berufsleben startet. Es darf nicht sein, dass man mit dem Erhalt des Diploms gleichzeitig auch das Formular für einen privaten Insolvenzantrag überreicht bekommt.

Ich halte daher die im Rahmen des Hochschulpaktes aktuell geführte Debatte, mit dem Ziel ein besseres und leistungsfähigeres Finanzierungssystem zu schaffen, für sinnvoller. Wir brauchen ein Finanzierungssystem, dass die Schaffung von Studienplätzen belohnt.

Gegenwärtig bilden beispielsweise Baden-Württemberg und Bayern aus Kostengründen weniger Akademikerinnen und Akademiker aus, als sie benötigen. Sie bürden damit ihre Lasten den hochschulpolitisch engagierten Ländern wie Nordrheinwestfalen oder Rheinland-Pfalz auf, die über Bedarf ausbilden.

Auf Initiative des rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministers Prof. Zöllner diskutieren die Länder derzeit einen Vorteilsausgleich nach Schweizer Vorbild, der auf einer studienplatzbezogenen Hochschulfinanzierung aufbaut. Danach kommt jenes Land für die Kosten auf, aus dem die Studierenden stammen und nicht jenes, das die Studienplätze zur Verfügung stellt. Diese Maßnahme schafft erstmals in Deutschland ein Anreizsystem für den Auf- und Ausbau von Studienplätzen.
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt diesen Ansatz ausdrücklich.

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte an dieser Stelle einen bereits mehrfach angerissenen Aspekt vertiefen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Frage der Geschlechtergerechtigkeit zu einem Schwerpunkt ihrer Politik gemacht und bereits 1999 die Frauenförderung als Querschnittsaufgabe weiterentwickelt. Wie in diesen Kreisen vielleicht nicht ganz bekannt sein dürfte, lässt sich der Zivilisationsgrad einer Gesellschaft sehr gut daran ablesen, wie sie mit Frauen umgeht und welche Chancen ihnen tatsächlich offen stehen.

Auch in der Bildungs- und Forschungspolitik haben wir die Frauenförderung zu einer vordringlichen Aufgabe gemacht. Ein moderner Forschungsstandort bedarf der wissenschaftlichen Arbeit von Frauen in Wissenschaft, Forschung und Lehre, um das gesamte wissenschaftliche Potenzial der Gesellschaft nutzen zu können. Dazu gehört auch, im Zuge des laufenden Generationenwechsel an den Hochschulen mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Langfristiges Ziel ist es, dass 40 % des im Hochschul- und Wissenschaftsfachprogramm (HWP) geförderten Personals Frauen sind. Durch die Initiativen der SPD-Bundestagfraktion konnte der Frauenanteil an Professuren seit 1998 von 9,5 % auf mittlerweile über 14 % kontinuierlich steigen, bei den Juniorprofessuren haben wir sogar eine Quote von mehr als 28 Prozent erreicht. Dies ist ein Fortschritt, weitere Anstrengungen werden aber notwendig sein.

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich hoffe es ist deutlich geworden, dass der Erfolg unserer Bildungssystems eine notwendige Bedingung für unseren Wohlstand von morgen ist. Wer da noch sagt, dass die Orientierung an dem Wert der Chancengleichheit der Bildung sozialromantisch ist, oder wer denkt Deutschland könnte im Innovationswettbewerb auf die Leistung und Kreativität der Frauen verzichten hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die globale Wissensgesellschaft und die Anforderungen einer wissensbasierten Wirtschaft zwingen uns geradezu dazu, künstliche Verknappung des Bildungszugangs zu durchbrechen, seien sie finanzieller, sozialer oder ideologischer Art. Ohne die Investition in die Köpfe drohen alle unsere Anstrengungen in Forschung und Entwicklung wirkungslos zu verpuffen. Aber auch das hat vor mir schon einmal jemand intelligentere ausgedrückt, so dass ich meinen Vortrag mit einem Zitat von John F. Kennedy beenden möchte. „Es gibt nur eine Sache auf der Welt, die teurer ist als Bildung - keine Bildung."

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!