Auf dem Weg zu einer europäischen Medien- und Kommunikations
Die europäische Medien- und Kommunikationslandschaft befindet sich in einem Prozess tiefgreifender Veränderungen. Der zunehmenden technologischen, wirtschaftlichen und auch politischen Dynamik stehen in den europäischen Staaten zumeist historisch gewachsene und daher nur begrenzt flexible nationale Medien- und Kommunikationsordnungen gegenüber. Die technologische Konvergenz der Medien infolge der allgegenwärtigen Digitalisierung und der globalen Vernetzung von Infrastrukturen, die wirtschaftliche Globalisierung und die internationalen Konzentrationsprozesse im Medienbereich, das politische Zusammenwachsen Europas sowie die damit einhergehenden neuen Anforderungen an eine demokratische politischen Öffentlichkeit, all das setzt die nationalen Medienordnungen unter einen hohen Veränderungsdruck. Sowohl in Brüssel als auch in Deutschland wird daher gegenwärtig mit Nachdruck an der Reform der Rahmenbedingungen für alle elektronischen Medien und Kommunikationsdienste gearbeitet. Hierbei stehen Rechtssicherheit für Rundfunk- und Diensteanbieter wie für Verbraucher, technikneutrale und zukunftsoffene Rahmenvorgaben und die Sicherung der Meinungsvielfalt und Pluralität in den Medien im Vordergrund.
In Deutschland haben nicht zuletzt der geplatzte Kabelnetzverkauf an Liberty Media oder die Insolvenz der KirchGruppe gezeigt, dass die bestehende Medienordnung mit ihrem sektoralen Regulierungsansatz und ihren zersplitterten Aufsichtsstrukturen den neuen Herausforderungen nicht gerecht wird. Die zunehmende Standortkonkurrenz zwischen den Ländern, die Rechtsunsicherheit in vielen Bereichen aufgrund der Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern sowie die zweigleisige, unkoordinierte Konzentrationskontrolle im Medienbereich haben dazu beigetragen, dass eine abgestimmte Medien- und Kommunikationspolitik seit Jahren erschwert wird. Derzeit sind es eher die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation und das Bundeskartellamt, die mit ihren Beschlüssen Medien- und Telekommunikationspolitik betreiben. So einig man sich ist, dass ein angemessener Ordnungsrahmen für alle Medien entwickelt werden muss, so uneinig ist man über die Reichweite der notwendigen Reformen: Die Vorschläge reichen von punktuellen Anpassungen wie der Verringerung der Zahl der Landesmedienanstalten, bis hin zur grundlegenden Reform des Ordnungsrahmens für alle elektronischen Medien.
In Deutschland ist die Debatte zur Reform der Medienordnung also in vollem Gange, mehrere Konzepte und Gutachten sind erarbeitet worden (z.B. "Offene Medienordnung" beim Bundeswirtschaftsministerium, "Kommunikationsordnung 2010" bei der Bertelsmann-Stiftung usw.). Die Bundesregierung hat im Sommer des vergangenen Jahres Bund-Länder-Gespräche zur Reform der Medienordnung aufgenommen, für den Jugendschutz in den Medien konnte nach vorübergehender Blockade Bayerns im März 2002 eine Einigung erzielt werden. Die Koalitionsfraktionen unterstützen diese Bemühungen und haben mit ihrem umfassenden Antrag "Reform der Medien- und Kommunikationsordnung" wichtige Eckpunkte vorgelegt. Um den neuen Herausforderungen gewachsen zu sein und auch um die verfassungsrechtlich garantierte Medienkompetenz der Länder zu sichern, bedarf es einer deutlichen Verschlankung der Aufsichtsstrukturen und einer wesentlich verbesserten Koordinierung zwischen Bund und Ländern. Als ein solches Koordinierungsinstrument haben die Koalitionsfraktionen einen Medien- und Kommunikationsrat vorgeschlagen, der die bestehenden Institutionen integrieren (keinesfalls nur ergänzen), die politischen Entscheidungen aufeinander abstimmen und einheitliche, planungssichere und verlässliche Verfahren festlegen soll. Der öffentlich-rechtlichen Rundfunk spielt auch in der neuen Medienordnung eine zentrale Rolle, weil private Anbieter allein weder die Grundversorgung noch die Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit gewährleisten können. Dies schließt unseres Erachtens eine dritte Säule im Onlinebereich mit ein. Eine Vereinheitlichung der Regulierungs- und Aufsichtstrukturen ist auch aus wirtschaftlicher Perspektive notwendig, um verlässliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung von e-Commerce und für mehr Rechtssicherheit gerade für Verbraucher und Mediennutzer zu schaffen.
Auf dem deutschen Fernsehmarkt herrscht derzeit - um es mit den Worten von Fritz Pleitgen zu sagen - eine gute Balance zwischen den öffentlich-rechtlichen ARD und ZDF einerseits (Marktanteil ca. 40%), sowie der RTL Group (CLT-Ufa bzw. Bertelsmann, ca. 25%) und KirchMedia (ProSiebenSAT1 AG, ca. 25%) andererseits. Das diese Balance empfindlich ist, zeigte sich mit aller Deutlichkeit in der Debatte zum Verkauf von sechs regionalen Kabelnetzen der Telekom an das amerikanische Unternehmen Liberty Media. Während die geplante Transaktion in seltener Eintracht Landesmedienpolitiker, Landesmedienanstalten wie öffentlich-rechtliche und private Free-TV-Anbieter auf den Plan rief, die vor einer Monopolgefahr warnten und um ihre Landeskompetenzen resp. ihren Zugang zum Kabelnetz fürchteten, hält das Bundeskartellamt die marktbeherrschende Stellung zwar für gegeben, aber unter einer Bedingung dennoch für hinnehmbar. Liberty sollte sich verpflichten, schnellstmöglich zugleich in den Wettbewerb auf dem Internetzugangs- und Sprachtelephoniemarkt einzusteigen. Dies hätte aber eine deutliche Erhöhung der Investitionen in den technischen Ausbau bedeutet, damit beispielsweise der Deutschen Telekom auch auf der letzten Meile Konkurrenz gemacht werden kann. Aufgrund der Refinanzierungsrisiken und auch aufgrund des von der Deutschen Telekom ausgehandelten sehr hohen Kaufpreises war Liberty dazu eben nicht bereit. Dennoch ist diese Verbindung von medien- und telekommunikationspolitischen Aspekten - wohlgemerkt durch das Bundeskartellamt - eine direkte Folge der Konvergenz, wobei derzeit offen ist, inwieweit und in welcher Form sich die Unterscheidung von Medien, Rundfunk und (privatwirtschaftlichen) Kommunikationsdiensten (im Sinne der EU-Kommission) aufrechterhalten lässt.
Diese zerbrechliche Balance sowie der enorme Reformbedarf ist insbesondere auch durch die fast vollständige Insolvenz der Unternehmen der KirchGruppe deutlich geworden. Der dauernde Streit um die Fußballrechte sowohl für die deutsche Bundesliga als auch für die Weltmeisterschaften 2002 und 2006 oder die teilweise überzogenen Reaktionen auf den erwarteten - oder befürchteten - Einstieg ausländischer Investoren in den deutschen Pay-TV- bzw. Free-TV-Markt lassen offenkundig werden, dass die deutsche Medienordnung nur ungenügend mit der Internationalisierung der Medienmärkte und der technologischen Entwicklung Schritt halten kann. Hier ist daran zu erinnern, dass aufgrund der besonderen Bedeutung der elektronischen Medien für die individuelle Information und für die demokratische Meinungsbildung privatrechtliche Rundfunkanbieter nur insoweit Berücksichtung finden können, soweit die Funktionserfüllung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowohl finanziell wie strukturell hinreichend gewährleistet ist. Denn dieser Grundversorgung kommt in einer demokratischen Gesellschaft eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu. Aber auch der private Rundfunk bleibt an der hinreichenden Sicherstellung der Meinungsvielfalt und Pluralität gebunden, wozu eine vorherrschende Meinungsmacht eines Anbieters zu verhindern ist. Auch hier weist die deutsche Medienordnung aufgrund der zweigleisigen Konzentrationskontrolle strukturelle Defizite auf - es macht eben ein Unterschied, ob eine einseitige Meinungsherrschaft und ihre negativen Folgen für das demokratische Gemeinwesen verhindert werden, oder lediglich einer Marktbeherrschung eines Unternehmens in einem definierten Teilmarkt vorgebeugt werden soll. Doch erst aus der Zusammenschau beider Konzentrationskontrollen, also sowohl der wettbewerbsrechtlichen des Bundeskartellamtes als auch der rundfunkrechtlichen nach dem Rundfunkstaatsvertrag der Länder, ergibt sich der tatsächliche Konzentrationsgrad im Medienbereich. Hier gilt es, ihr Zusammenspiel zu verbessern und einen effektiven Informationsaustausch zwischen den beteiligten Institutionen zu ermöglichen. Denn die - insbesondere internationalen - Konzentrationstendenzen sind sicherlich eine der größten Herausforderungen für die gegenwärtige Medienpolitik. Inwieweit die vieldiskutierte Beteiligungsgrenze für ausländische Investoren an nationalen Rundfunkveranstaltern, wie sie fast überall in der EU existiert, auch für Deutschland sinnvoll ist, muss hier offen bleiben.
Auch die EU arbeitet an einem umfassenden Neuordnung der Kommunikationsmärkte in Europa und wird hierzu neben der Novellierung der Fernsehrichtlinie ein ganzes Paket von insgesamt fünf Richtlinien verabschieden. Das Ziel ist ein einheitlicher Binnenmarkt für alle Kommunikationsdiensteanbieter, der insbesondere durch einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen (z.B. für Zugangs-, Lizenz- und Leistungsbestimmungen wie auch Grundversorgung) sowie über einheitliche offene Standards bei den Übertragungswegen (z.B. Multimedia Home Plaform MHP) und beim digitalen Rundfunk (z.B. DVB, Digital Video Broadcast) erreicht werden soll. Die Umsetzung der Richtlinien wird die Rechtssicherheit in Europa erhöhen und stellt einen wichtigen Schritt zu einer europäischen Medien- und Kommunikationsordnung dar. Wiederholt hatte die EU-Kommission ebenfalls kritisiert, das die hohen Erwartungen im Pay-TV-Bereich auch deshalb in einigen Mitgliedsstaaten nicht erfüllt werden konnten, weil eine überaus starke Stellung des frei zugängliches Fernsehen - sowohl des privaten werbefinanzierten Free-TVs wie auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - sich als Barrieren für den Marktzugang auswirkten. Hier zeigt sich allerdings das grundlegende Problem der europäischen Medienpolitik in Brüssel, die eben primär einen wirtschaftlich funktionierenden Binnenmarkt im Auge hat und dabei die gesellschaftliche Bedeutung freier, pluralistischer und ausgewogener Medienvielfalt erst sekundär berücksichtigt. Dies ist auch die Ursache dafür, dass sich Brüssel für die Novellierung der Fernsehrichtlinie nun mehr Zeit lässt und anstatt einer kleinen Anpassung etwa im Bereich der Werbung inzwischen das Ziel einer umfassenden Erweiterung der Richtlinie zu einer echten Inhalterichtlinie bis 2005 verfolgt. Europa ist nämlich mehr als ein Wirtschaftsraum, vielmehr eben auch eine kulturelle, politische und normative Gemeinschaft demokratischer Gesellschaften. Und hierzu ist eine freie und pluralistische - auch mediale - europäische Öffentlichkeit unabdingbar. Sowohl für Europa als auch für Deutschland bleibt auf dem Weg zu einer europäischen Medien- und Kommunikationsordnung daher noch viel zu tun.
Berlin, Frühjahr 2002