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02.08.2009 | Tauss schreibt wegen Zensursula an Kommission

Pressemitteilungen

Das nachfolgende Schreiben ging heute an den Präsidenten der EU-Kommission Barroso und wortgleich an die für Fragen der Informationsgesellschaft zuständige Kommissarin Reding.

Sehr geehrter Herr Präsident,

der Kommission liegt offensichtlich ein Gesetzesentwurf aus der Bundesrepublik Deutschland vor, der den Titel "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (Zugangserschwerungsgesetz – ZugErschwG)" trägt. Wegen mangelnder Beratungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, das zu Änderungen und Neuformulierungen führte, wird das ordnungsgemäße Zustandekommen dieses Gesetzes auch im Rahmen eines Organstreitverfahren vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht bestritten.

Mit dieser Regelung werden die deutschen Zugangsvermittler (Internet-Provider) gesetzlich zur Errichtung einer technischen Zensur-Infrastruktur verpflichtet, mit der beliebig Inhalte im Internet gesperrt werden können. Welche Seiten konkret gesperrt werden, ergibt sich dabei allein aus einer geheim zu haltenden Liste, die das Bundeskriminalamt (BKA) autonom führt und den Anbietern zur Verfügung stellt. Die Inhalte dieser Liste sind von den verpflichteten Unternehmen innerhalb weniger Stunden zu sperren. Eine richterliche Kontrolle hinsichtlich der Aufnahme von Webseiten in die Liste ist genauso wenig vorgesehen, wie ein vorgeschaltetes verwaltungsrechtliches Verfügungsverfahren. Lediglich im Nachhinein soll ein durch das Gesetz neu geschaffenes Kontrollgremium, bei dem 3 von 5 Mitgliedern die Befähigung zum Richteramt haben sollen, mindestens vierteljährlich und mindestens stichprobenartig überprüfen, inwieweit die Seiten zu Unrecht gesperrt worden sind, weil sie gar keine einschlägigen Inhalte (mehr) enthalten.

Da diese Fragen unzweifelhaft Fragen der Informationsgesellschaft in der EU berühren, dürfte ein Notifikationsverfahren unabdingbar sein.

Wird dies von Ihnen ebenfalls so gesehen?

Sollte Sie diese Frage mit JA beantworten würde mich interessieren, wie die Kommission die Tatsache bewertet, erst nach dem Gesetzgebungsverfahren eingeschaltet worden zu sein bzw. den richtigen Text übermittelt bekommen zu haben?

Der Abstimmung im Plenum des Deutschen Bundestages über das Zugangserschwerungsgesetz ging folgendes Gesetzgesetzgebungsverfahren voraus:

Bundesregierung und die Fraktionen der CDU/CSU und SPD brachten gleichlautende Gesetzentwürfe (Drucksache 16/12850 und 16/13125) in den Bundestag ein, mit denen das Telemediengesetz (TMG) ergänzt bzw. geändert werden sollte:

Der Gesetzesentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes auf Drucksache 16/12850 wurde in der 219. Sitzung des Deutschen Bundestages am 6.Mai 2009 im Anschluss an die Erste Lesung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zur federführenden Beratung sowie den Innenausschuss, den Rechtsauschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und den Ausschuss für Kultur und Medien zur Mitberatung überwiesen.

Der gleichlautende Gesetzesentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes auf Drucksache 16/13125 wurde in der 224. Sitzung des Deutschen Bundestages am 28. Mai 2009 im Anschluss an die Erste Lesung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zur federführenden Beratung sowie den Innenausschuss, den Rechtsauschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und den Ausschuss für Kultur und Medien zur Mitberatung überwiesen.

Der federführende Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sollte über die Änderung des Telemediengesetzes der Drucksachen 16/12850 und 16/13125 in seiner 98. Sitzung am 17. Juni 2009 abschließend beraten. Die Berichterstatter von CDU/CSU und SPD verständigten sich am 15. Juni 2009 jedoch darüber, anders als vorgesehen auf der Sitzung nicht mehr über die Änderung des TMG zu beraten und zu beschließen, sondern dem Ausschuss einen neuen Gesetzentwurf, nämlich das ZugErschwG, erstmalig zur Beratung und Abstimmung zu stellen.

Die Fraktion der FDP stellte daraufhin zwei Geschäftsordnungsanträge, Ausschussdrucksachen 16(9)1614 (Absetzung Tagesordnungspunkt) und 16(9)1615 (Rücküberweisung ans Plenum zur Beschlussfassung über die Federführung des Ausschüsse). Die Fraktion der FDP stellte darin zutreffend fest, dass nach der Anhörung wesentliche Teile des Gesetzes geändert worden seien, mithin ein neues Gesetz vorliege und von daher eine neue Erste Lesung im Plenum des Bundestages notwendig wäre.

Mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD und gegen die Stimmen der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurden diese Geschäftsordnungsanträge jedoch abgelehnt.

Die Fraktion der FDP brachte einen weiteren Geschäftsordnungsantrag auf Ausschussdrucksachen 16(9)1616 zur Durchführung einer öffentlichen Anhörung über den neuen Gesetzentwurf ein. Der Ausschuss beschloss mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jedoch, den Geschäftsordnungsantrag auf Ausschussdrucksachen 16(9)1616 abzulehnen.

Der Ausschuss beschloss weiter, einvernehmlich zu empfehlen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/13125 für erledigt zu erklären. Hierbei handelt es sich um den der Kommission übermittelten Gesetzentwurf.

Wurden Sie über die Tatsache, dass der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf erledigt ist informiert?

Denn der in Drucksache 16/13411 vom federführenden Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zur Zweiten und Dritten Lesung dem Bundestagsplenum überwiesene Gesetzesentwurf des ZugErschwG unterscheidet sich erheblich von dieser ursprünglich den Ihnen und Ausschüssen zur Beratung überwiesenen Drucksache 16/12850.

Beispielhaft sei aufgeführt:

aa.) In § 9 ZugErschwG wurde erstmals ein Expertengremium beim Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit installiert, das mindestens quartalsweise auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben überprüft, ob die Einträge auf der Sperrliste die Voraussetzungen des § 1 Absatz 1 ZugErschwG erfüllen. Stellt es mit Mehrheit fest, dass ein aufgeführtes Telemedienangebot diese Voraussetzung nicht erfülle, müsse das Bundeskriminalamt dieses Telemedienangebot bei der nächsten Aktualisierung aus der Sperrliste entfernen.

bb.) In § 5 ZugErschwG wird bestimmt, dass– anders als im Gesetzesentwurf Drucksache 16/12859 – Verkehrs- und Nutzungsdaten für die Strafverfolgung nicht übermittelt werden dürfen.

cc.) § 1 Abs. 2 ZugErschwG eröffnet dem BKA Ermessen hinsichtlich der Aufnahme von Angeboten in die Sperrliste, soweit nach seiner Meinung Maßnahmen zur Löschung der Inhalte nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind.

dd.) § 12 ZugErschwG verweist auf den Verwaltungsrechtsweg.

ee.) Art. 4 Abs. 3 des Gesetzentwurfes bestimmt ein Außerkrafttreten des Gesetzes zum 31.12.2012.

Das ZugErschwG ist daher in seinem Gehalt als ein neues Gesetz und nicht lediglich als neue Fassung des mit Drucksache 16/12859 des nach der Ersten Lesung im Bundestag an die Ausschüsse überwiesenen Gesetzentwurfes zur Änderung des TMG zu sehen.

Wird diese Auffassung auch von der Kommission geteilt? Welche Fassung liegt der Kommission tatsächlich vor? Wann hat sie welche Fassung erhalten?

Es sei hinzugefügt, dass das ZugErschwG bereits zum 1. 8. 2009 in Kraft treten sollte. Seitens der deutschen Regierungsstellen wird behauptet, es sei allein deshalb noch nicht dem Bundespräsidenten zugeleitet worden, weil man erst die EU- Haltung abwarten wolle. Deren Zuständigkeit wird dessen ungeachtet bestritten. Ein Notifikationsverfahren sei bei dem Regelungsgegenstand eigentlich nicht nötig.

Wird diese Auffassung von der Kommission geteilt?

Für den Fall, dass sich die Kommission mit dem Gesetz befassen wird:

Welche Fristen wären dann für das mögliche Inkrafttreten des Gesetzes zu beachten? Welche Folgen hätte eine verspätet vorgelegte Fassung, die im Übrigen auch noch nicht einmal in die Amtssprachen der EU übersetzt werden konnte?

Gleichlautendes Schreiben habe ich auch an die Kommissarin, Frau Viviane Reding, gesandt.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Tauss